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Wanderarbeit und Migration ins Wuppertal

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DgrossFamgesch
geboren am 17. März 1851 in Harscheid
gestorben am 4. Februar 1918 in Williamsport, USA

1873

1860

geboren am 5. März 1838  in Harscheid
gestorben am 13. April 1900  in Elberfeld
Unterschrift.MuellerHeinrich.inv.trans.192
CHMPortrMini.gif

Vom Oberbergischen ins Wuppertal

SignaturInv.trans.250
HarscheidLindscheid.jpg
Harscheid1831.242

Unten: Bauhof der Bauunternehmung Schutte in Barmen um 1900, auch "Homburger Schloss" genannt.

Heinrich Müller

(*1838), seine Frau

Amalie Simon

(*1843) und ihr Bruder

Ferdinand Simon

(*1851) stammten aus dem oberbergischen Dorf

Harscheid

(heute Teil der Gemeinde Nümbrecht). Alle drei, zuerst Heinrich Müller (ca.

f

1860), dann Amalie Simon (ca.

f

1864) und später (1873) ihr Bruder Ferdinand, wanderten, so wie viele Andere, aus ihrer verarmten Region ins prosperierende Wuppertal, das damals noch aus selbständigen Ortschaften bestand, an der Spitze die Schwesterstädte Elberfeld und Barmen.  Das "Homburger Ländchen", das ungefähr den beiden heutigen Gemeinden Nümbrecht und Wiehl entsprach, war als "

Reichsherrschaft Homburg

" ("Dynastia Imperii") für viele Jahrhunderte ein eigenständiger Kleinststaat innerhalb des Heiligen Römischen Reiches gewesen, der von den Grafen (später: Reichsfürsten) von Sayn-Berleburg regiert wurde und deshalb (cuius regio eius religio) reformierter Konfession war. Die so bedingte verstärkte Isolation vom gesamten andersgläubigen Umland formte seinen Charakter als eine - extrem kleine - Welt für sich entscheidend mit. 1604 (Verlust von Waldbröl und Morsbach) erhielt es seine letzte Form, bevor es 1806 (Auflösung des Reiches) seine Eigenständigkeit verlor, um dann etwas später (1815/1821) preußisch zu werden.
 
Im Homburger Land galt schon seit dem 14.

f

Jahrhundert, gesetzlich festgelegt seit 1563, die Erbregel der "

Realteilung

", d.h. das Erbe, insbesondere der Grundbesitz, wurde gleichmäßig unter die Erben aufgeteilt. Dies führte über die Jahrhunderte nicht nur zu Höfen mit immer kleinerer Grundfläche, sondern auch zu einer Zersplitterung und Zersiedlung, d.h. die Felder eines jeden Hofes wurden bei stark abnehmender Gesamtfläche gleichwohl immer mehr, immer unregelmäßiger verteilt und so natürlich auch immer kleiner. Im Jahr 1808 gehörten jedem Harscheider Bauern durchschnittlich 91 separate kleine und kleinste Feld-, Wiesen- und Buschflächen*. 58% der Höfe waren damals Zwerg- und Kleinstbetriebe mit einer Fläche von weniger als 2 ha, weitere 30% waren Kleinbetriebe von 2-5 ha. Auch im 19. Jahrhundert setzte dieser Prozess sich kontinuierlich fort (z.B. nahm die Anzahl der Parzellen im Homburgischen allein zwischen 1834 und 1861 um ca. 8% zu). So wurde, trotz geringerer Fläche, der Aufwand des einzelnen Bauern größer und der Ertrag dysproportional kleiner, so dass irgendwann die Bauernhöfe von ihren ohnehin kargen Böden die Familien nicht mehr ausreichend ernähren konnten.

Kurt Müller

sen.

UnterschriftGruen Kopie 2
geboren am 8. August 1904 in Elberfeld
gestorben am 23. Dezember 1982 in Gütersloh
1937.MuellerKurtSen.Rheinfahrt

Aus dem Gespräch von 1982

Aus dem Gespräch von 1982

 
>> Fortsetzung des Gesprächs hier >>
 

Kurt Müller sen


Meine Großmutter war ja eine geborene Simon, und die stammten aus dem Oberbergischen, genau wie die Müllers.  Und zwar stammten beide aus der Nähe von Nümbrecht. Ich glaube, dass sie beide aus dem Dorf

Harscheid

 stammen. Jedenfalls waren wir früher noch öfter im Oberbergischen, in Harscheid, da lebte noch ein alter Onkel. Und meine Mutter war da auch öfter. Im Ersten Weltkrieg, als die schlechten Zeiten waren, hat meine Mutter da auch immer etwas gehamstert.  Also, das war ein sehr habgieriger Kerl, dieser alte Onkel. Ich weiß noch immer, dass zuhause furchtbar über den geschimpft wurde. Muss sehr habgierig und sehr hinterm Geld her gewesen sein. Aber, na ja,  die Oberbergischen sind ja überhaupt  ein sehr sparsames Geschlecht.

Kurt M. jun.


Aber die Müllers waren da keine Müller mehr, oder waren sie Müller von Beruf?


 

Kurt Müller sen.


Nein, die waren Bauern. Aber sie  waren, wie nennt man die Bauern, die so halb frei arbeiten und halb als Bauern...  Also, sie waren fast alle im Baugewerbe tätig, ob nun als Hilfsarbeiter im Bau oder als Maurer oder als Tiefbauarbeiter, meistens waren sie im Maurergewerbe tätig. Im Winter hatten sie ihre Bauernschaft, im Sommer gingen sie mit ihren Bau- Kolonnen, dann wurde die Bauernschaft durch die Frau weitergeführt. Das Wuppertal, Elberfeld, die ganze Ecke, das war ja ein nahes und ideales Gebiet für dieses Gewerbe, das war noch Bergisches Land...

Kurt Müller sen.

über die Herkunft der
Müllers und Simons im Oberbergischen

>> oder hier >>
 

ca. 950   Bau der (heute) evangelischen Kirche in Nümbrecht


 

1131       Erste urkundliche Erwähnung der Siedlung Nümbrecht.


 

1.12.1264     Beginn der Herrschaft Homburg (zur Grafschaft von Sayn)


 

1268 - 1276  Bau der Burg Homburg als Residenz durch Gottfried I.


 

1359      Der Graf von Sayn übernimmt Wittgenstein und nennt sich jetzt
             "von Sayn Graf zu Wittgenstein".


 

1604      Homburg erhält nach dem Verlust von Waldbröl und Morsbach
             seine endgültigen Grenzen.

Geschichte des Homburger Ländchens:

1743 Die homburgische Eigendynastie
        erlischt, es regiert das Haus
        Sayn-Wittgenstein-Berleburg.


 

1806 Gründung des Rheinbundes.
        Nach 530 Jahren Ende der
        Reichsherrschaft Homburg


 

1815/21 Angliederung an Preußen


 

1845 Als Vorbotin demokratischer
        Verhältnisse wird die Rheinische
        Gemeindeordnung eingeführt.
        Es werden Gemeinderäte gewählt
        u.a. in Nümbrecht  und in
        Marienberghausen.

Homburg-Berg
10 km

Oben: Homburger Kleinststaat ("Reichsherrschaft") 1789

Oben: Land Homburg um 1600

Homburg-Berg-Umgebung Kopie 2

HOMBURG

HOMBURG

50 km

CÖLN

Siegen

Elberfeld

1750.Schl.ossHomburg.418

Unten: Schloss Homburg um 1750

NuembrechtKirche

Oben:Tausendjährige "Schlosskirche" von Nümbrecht

Nuembrecht.Wappen

Unten: Das Wappen von Nümbrecht zeigt das Schloss Homburg sowie Symbole der Herrscherfamilie

Auf diesem Hintergrund entwickelte sich im 19. Jahrhundert, mit der industriellen Revolution und dem Aufstieg der Städte, unter den Bauern des gesamten Oberbergischen Landes, insbesondere aber des Homburger Ländchens die Praxis der saisonalen Wanderarbeit (wie es auch Kurt Müller sen. im Gespräch von 1982 beschreibt, s.rechts). 1861 waren unter den 12375 Einwohnern des Homburger Landes 747 Wanderarbeiter. Diese Bauern zogen für die wärmere Jahreszeit in die expandierenden Städte, v.a. in die ca. 100 km (Luftlinie 50 km) entfernten Großstädte des Wuppertals, Elberfeld und Barmen, wo sie, entsprechend dem großen Baubedarf, v.a. im Baugewerbe arbeiteten, z.B. - wie Heinrich Müllers Vater Johann Heinrich Müller, geboren 1805 im Harscheider Nachbardorf Lindscheid -  als Maurer. Die Landwirtschaft wurde derweil von den Frauen, z.T. auch den Kindern, allein gemeistert.

 
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts entwickelte sich dann aus der Wanderarbeit immer mehr eine dauerhafte Zuwanderung vom nach wie vor immer mehr verarmenden Homburger Land ins boomende Wuppertal, dessen Städte rapide expandierten. So wuchs die Bevölkerung Elberfelds zwischen 1800 und 1860 um fast 400%, verfünffachte sich also. Bis 1885 folgte abermals fast eine Verdoppelung, bis 1900 weitere ca. 50% Zuwachs. Ein immer größerer Teil der hier im Baugewerbe Tätigen, später insbesondere auch der Bauunternehmer, kam nun aus dem Homburgischen, das, trotz seiner Armut, für seine handwerkliche Kompetenz und Gewissenhaftigkeit bekannt war. So stammten 1877 (geschätzt anhand regionstypischer Namen) ca. 40% aller Barmener Bauunternehmer und Maurermeister aus dem kleinen Homburger Ländchen.* In Elberfeld, dem Hauptwanderungsziel von Heinrich Müller (später Bauunternehmer) und seinem Schwager Ferdinand Simon (Maurer, evtl. auch Maurermeister), dürften die Verhältnisse ähnlich gelegen haben.

Rechts: Dorfplan von 1831
(Familienzuordnung aus
späteren Jahren)

1900.Schutte.Barmen.490
1900.Schutte.Barmen
1908.Baustelle.HomburgerSaisonarbeiter

Links: Baustelle einer Eisenbahnbrücke in Elberfeld 1908, mit Homburger Maurern und -­rechts unten - dem Polier Gustav Simon aus Harscheid (1870-1927, nicht verwandt mit Amalie und Ferdinand Simon)

Fotoquelle.Saisonarbeiter

Rechts:
Auszug aus dem Adressbuch von Barmen des Jahres 1901

* siehe
-  

Klaus Goebel: Die homburgische
  Zuwanderung nach Wuppertal,
  Wuppertal 1963

  und
-  

Otto Kaufmann: Die wirtschaft-
  lichen Verhältnisse der Gemeinde
  Nümbrecht um 1870, Nümbrecht 1974

* siehe
-  

Klaus Goebel: Die homburgische Zuwanderung
  nach Wuppertal, Wuppertal 1963

  und
-  

Otto Kaufmann: Die wirtschaftlichen Verhältnisse
  der Gemeinde Nümbrecht um 1870, Nümbrecht 1974

Links:  Lage von Lindscheid, dem Heimatort
von Heinrich Müllers Vater Johann Heinrich und dessen Eltern und Großeltern, darunter der älteste bekannte Vorfahre mit Namen Müller, Thomas Müller

 
©   Kurt Müller 2023