Über Ferdinand Simon erfahren wir aus seinem Passantrag neben den Daten der Einwanderung auch ein paar persönliche Merkmale: Ferdinand war demnach 5

x

Fuß 6

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Zoll groß, also ca. 1,68 m, und damit für damalige Verhältnisse normal groß, aber kein Hüne, also deutlich kleiner als z.B. sein Neffe Emil Müller, einzelne seiner Brüder oder (jedenfalls laut den Angaben seines - selbst eher kleinen - Bruders Wilhelm) sein Vater Kaspar Heinrich Simon. Außerdem hatte er offenbar braune Augen, ein breites Kinn, eine "hervorstehende" Nase, eine rötlich-gesunde Hautfarbe und trug - wie viele Deutsche seiner Generation, z.B. auch sein Schwager Heinrich Müller - einen Bart.

Das wenige Persönliche, das uns darüber hinaus von Ferdinand Simon bisher bekannt ist, wissen wir von seinem Enkel Carl Simon, der als kleiner Junge eine enge Beziehung zu seinem Großvater hatte. Ferdinand sprach wohl nicht sehr gut englisch, er sprach auch in Amerika vorwiegend deutsch, in der Familie ohnehin, nicht nur mit Frau und Kindern, sondern auch seine späteren Schwiegerkinder entstammten deutschen Einwandererfamilien (die Vorfahren seines Schwiegersohns Ol Smith hießen Schmidt). Auch darüber hinaus gab es in Pennsylvania mit seinen vielen deutschen Einwanderern (wo ja auch das "Pennsylfanische“ entstand, die amerikanische Schwestersprache des Deutschen) genug Gelegenheit, deutsch zu sprechen, jedenfalls bis zum 1.Weltkrieg, dann wurde Deutsch als "Feindsprache" verdächtig und verpönt und verschwand als Umgangssprache bei der Mehrheit der deutschen Einwanderer in den USA abrupt.

Eines seiner vielen Erlebnisse mit dem Großvater hinterließ bei ihm einen besonders tiefen Eindruck. Als die beiden einmal zusammen in einer Gaststätte saßen und der Großvater seine Bestellung schon aufgegeben hatte, fiel dem kleinen Carl nachträglich ein, dass er noch Durst hatte, und er durfte dann sein Getränk selbst beim Kellner bestellen. Dieser aber ignorierte ihn, auch nach mehrfacher Wiederholung, vollständig und nachhaltig. Schließlich stellte Ferdinand den Mann zur Rede, warum er die Bestellung nicht entgegennehme und ausführe, woraufhin der Kellner mehr oder weniger herablassend (sinngemäß) sagte: kleine Kinder hätten nichts zu bestellen. Jetzt packte den Großvater ein heiliger Zorn, ein Jähzorn, wie er auch anderen Simons nachgesagt wurde. Er nahm den ganzen Tisch, an dem sie saßen, mit allem, was darauf stand, stemmte ihn hoch über seinen Kopf - so jedenfalls hatte Carl es in Erinnerung - und schmetterte ihn dann mit voller Wucht auf den Boden der Gaststätte, wo er krachend zerbarst. Mit den Worten (sinngemäß): "Komm, wo Kinder nicht bedient werden, da haben wir nichts zu suchen!" nahm er seinen Enkel bei der Hand und verließ das Lokal.

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1894.MarketStr1140.199

Unten: Ferdinands Enkel Carl H. Simon kurz nach dem 2.Weltkrieg

Oben: Das "Mehrfamilien- haus" 1140 Market Street
in Williamsport (im Besitz der Simons von 1887 bis 1907) war größer als es erscheinen mag: es hatte 3 Schlafzimmer und eine Wohnfläche von 146 qm, bei einer Grundstücks- größe von 526 qm.

Ferdinand Simon persönlich

Bis dahin jedoch, also bis zum Alter von 10 Jahren oder länger, verstand Carl das Deutsch, das der Großvater mit ihm sprach, und erinnerte sich später immer noch gut an dessen markige deutsche Flüche wie z.B. sein "Gottverdammich“. Sein übriges vom Großvater gelerntes Deutsch hatte er inzwischen aber wieder völlig vergessen.

Außerdem wissen wir, dass Ferdinand auch kirchlich in Amerika "angekommen" war. Das zeigt sein Mitgliedseintrag (links) vom Februar 1897 in der "Wesley United Methodist Church". Dies entspricht seiner Herkunft aus evangelisch- reformierten Milieus im Rheinland (Herrschaft Homburg = Nümbrecht und  Elberfeld), zeigt ihn aber auch als Anhänger einer gemäßigt- reformierten Glaubensrichtung. Sie lehnt die reine Lehre der calvinistischen "doppelten Prädestination" ab, die wirtschaftlichem Erfolg religiösen Wert zuschreibt.

18940619Tuesd.SimonFerdJr.RunawaySunday.375

Von Unruhe und Eigensinn in der Familie Simon zeugt auch die folgen- de Zeitungsnotiz der Williamsport Sun Gazette vom 19. Juni 1894, ob auch von dem den Simons eigenen Temperament, bleibt Spekulation:
"

Two Boys Run Away

". Der

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19jährige (also damals noch nicht voll- jährige) Ferdinand jun. war anscheinend am 17. Juni 1894, 12

i

Jahre nach der Auswanderung, nachts von zuhause ausgerissen,  zusammen mit einem italienischstämmigen Kollegen namens "Januar", der so wie er bei den Gebrüdern Evenden, Baumschulbetreibern und Floristen, angestellt war. Niemand hatte eine Ahnung, warum und wohin (auch heute sind die Hinter-gründe uns nicht bekannt). Sein Vater hatte sich daraufhin nach New York auf den Weg gemacht, um die beiden irgend- wie zu finden. Viel mehr wissen wir nicht über diese Geschichte, aber immerhin wissen wir, dass sie letztendlich gut ausging, auch wenn Ferdinand jun. seine Zukunft  nicht in der Gärtnerei und auch nicht im Baugewerbe (s.u.) fand, sondern die längste Zeit seines Lebens in der Flugzeugindustrie arbeitete (im Jahr 1894 konnte freilich noch niemand etwas von dieser Karrierechance ahnen).

Eine gewisse Bestätigung dagegen erfährt das Bild von Ferdinands Temperament ebenso wie die Vermutung eines schwierigen Vater- Sohn-Verhältnisses durch diesen Zeitungsbericht der "Daily Gazette and Bulletin", Williamsport, auch wenn der genaue Hintergrund hier gleichfalls undurchsichtig bleibt. Der Artikel vom

9.

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Mai

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1902

trägt die Überschrift: "

Hunde begleiteten ihren Herrn ins Gefängnis

" und den (etwas irreführenden) Untertitel "Ferdinand Simon sen. von seinem Sohn festgenommen...". Ferdinand jun., 27 Jahre alt, war gerade - mit dem ersten einer schnellen Folge von Wohnungswechseln -  aus dem Elternhaus 1140 Market Street aus- und in das Haus 1131 Hepburn Street umgezogen (wo später seine Schwester mit ihrer Familie wohnen sollte, dann mit den Eltern im Nachbarhaus), war aber vermutlich noch nicht verheiratet. Er hatte, sagt die Zeitungsmeldung, seinen Vater (51) bei der Polizei angezeigt, weil dieser gedroht hatte, ihn umzubringen, woraufhin der

Constable

sich in die Market Street aufmachte, Ferdinand sen. beim vierten Versuch zuhause antraf und festnahm, und zwar ohne die großen Schwierigkeiten, mit denen er gerechnet hatte.
 
Er führte diesen dann samt seinen beiden Hunden vor den Friedensrichter und anschließend wegen fehlender Kaution ins Gefängnis, bevor es um 17:00 Uhr zu einer Anhörung kommen sollte. Eine Notiz vom folgenden Tag (darunter) berichtet lapidar, dass der Fall vor dem Friedensrichter erledigt worden sei. Was auch immer der Hintergrund dieser Geschichte gewesen sein und was sie über die Beziehungen in der Familie Simon aussagen mag, die Erinnerungen von Ferdinands Enkel Carl (an Erlebnisse einige Jahre später) zeigen, dass hier wohl kein fundamentaler Bruch in den familiären Beziehungen entstanden war.

19020509.Verhaftung.363
19020510.Entlassung.313
SignaturInv.trans.250
Dmittel.Famgesch.275
geboren am 17. März 1851 in Harscheid
gestorben am 4. Februar 1918 in Williamsport, USA

und seine Nachkommen

Der Auswanderer Ferdinand Simon

(siehe auch Passantrag)

 
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Für den kleinen Carl war dieses Erlebnis natürlich sehr aufregend. Was ihn aber, wie er später sagte, am tiefsten beeindruckte, war, zu erleben, wie sein Recht, das des kleinen Jungen, ernst genommen und vehement verteidigt wurde. so ähnlich, wie ja auch Wilhelm Simon nie vergaß, mit welcher Entschlossenheit sein (und Ferdinands) Vater Caspar Heinrich Simon ihn vor ungerechter Behandlung durch den Lehrer beschützte (siehe

Chronik der Famlie Simon

). Und auch Emil Müller reagierte ähnlich bei seinem

Zusammenprall

mit dem Kutscher, auch wenn es in dem Fall kein wehrloses Kind, sondern ein wehrloses Pferd war, für das er mit all seinem Zorn eintrat.

Ferdinand jun. übte in seinem Leben mehrere Berufe aus. Die erste im Adressbuch genannte Tätigkeit ist: "machinist" für die Jahre 1893 und 1894, er bediente also Maschinen. War dies vereinbar mit seiner Anstellung in der Gärtnerei (s.o.)? Auszuschließen ist es nicht. Von 1895 bis 1901 wird er als "mason" bezeichnet, übte also denselben Beruf aus wie sein Vater, und es liegt nahe, dass beide zusammenarbeiteten.

Ferdinand jr. übte im Lauf seines Lebens offenbar vielerlei Berufe aus. Laut Adressbuch war sein erster: "machinist" (laut den Adressbüchern 1894 und 1895), er bediente also Maschinen. Ist dies vereinbar mit der Information (s.o.), dass er 1894 bei einer Gärtnerei arbeitete? Vielleicht ist es nicht naheliegend, aber auch nicht auszuschließen.
 

Anschließend (von 1896 bis 1901) arbeitete er als Maurer ("Mason") wie sein Vater, vielleicht sogar in dessen Firma, danach -­während er heiratete und Vater wurde - war er "Laborer" und schließlich (seit 1906) "Presser", also wahrscheinlich in der Textilherstellung oder -pflege tätig.

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