Die Entstehung der Gedichte beginnt schon in den ersten Tagen des Angriffs auf die Sowjetunion, der, zu diesem Zeitpunkt, für Kurt Müller genau so überraschend kam wie für die ganze Welt. Der Krieg hatte bis dahin, was persönliche Gefahren und Belastungen betraf, für ihn noch ein vergleichsweise mildes Gesicht gezeigt. Vor dem Krieg ohne jede Erfahrung von Militärdienst, nahm er auch am Krieg gegen Polen nicht teil, und als er 1940 dann doch zum Kriegsdienst eingezogen wurde, kam er - nach kurzer Ausbildung - zu seinem Glück in eine Kompanie, die am eigentlichen Kampfgeschehen des Kriegs im Westen verhältnismäßig wenig teilnahm und sich darüber hinaus aus Männern zusammensetzte, die dem Nazi-Regime gegenüber überwiegend distanziert oder sogar kritisch eingestellt waren. Es handelte sich, wie er es beschreibt, um "
eine Luftwaffenbaukompanie ..., wo alle Jahrgänge 1903, 1904, 1905, bis 1910, so ungefähr, reinkamen, das waren die politisch nicht einwandfreien Jahrgänge, die wollte man zusammen haben, um sie besser überwachen zu können. Und das sagte uns unser Spieß, der alte Buss, das war ein netter feiner Kerl: 'Ihr wisst ja, äh, dass wer, äh, dass wer euch nicht trauen können!' Der machte sich darüber lustig.
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Im Krieg befand diese Kompanie sich zunächst in der Nachhut; Kurt Müller sah die zerstörten Städte, war davon erschüttert, sah aber wenig von den Zerstörungshandlungen selbst, und kam seinerseits auch wenig in Gefahr. Politik und Nazi-Diktatur schienen fern, auch für einen sonst politisch bewussten und kritischen Menschen wie Kurt Müller, so unverständlich dies für uns heute sein mag. Das Trugbild einer politisch neutralen, ethisch intakten Wehrmacht wurde schon damals geboren. Zudem dauerte der Landkrieg im Westen für Kurt Müller nur 8 Wochen. Danach gehörte er für ein Jahr zum Bodenpersonal von Flugplätzen in Frankreich und war an keinerlei Kämpfen beteiligt. Es folgte ein Monat der Stationierung in Deutschland und etwas Urlaub. Er ahnte kaum etwas, war innerlich unvorbereitet und ohne größere militärische Erfahrung, als ihn der Befehl zum Einmarsch in die Sowjetunion traf. Aber noch weniger als auf den Angriff selbst war Kurt Müller vorbereitet auf das, was folgte. In den kommenden Monaten, je tiefer er in eine erbarmungslose Kriegsumgebung hineingestoßen wurde und je grausamer u.a. die extrem schlechte Winterausrüstung der deutschen Soldaten ihren Tribut forderte, desto intensiver erlebte Kurt Müller einen zunehmend bedrückenden, teilweise albtraumhaften Wandel seiner Erfahrungswelten. Um die Eindrücke zu verarbeiten, die ihn zu überrollen und in einen Strudel zu ziehen drohten, begann er in dieser Situation, wieder, Gedichte zu schreiben.