Andererseits muss man berücksichtigen, dass ein solcher Satz, selbst wenn er "so gemeint" gewesen sein sollte, unter den damaligen Bedingungen fast ein Gemeinplatz war. Auch Kurt Müller war sicher auf gewisse Weise ein Kind seiner Zeit, der - bei aller inneren Opposition zum Regime - nicht nur viele Ängste und Hoffnungen, sondern auch viele Erlebnis- und Betrachtungsweisen mit den Menschen seiner Umgebung teilte. Den wenigsten stand damals die Klarsicht der Nachkriegszeit zur Verfügung, ganz zu schweigen von heutiger "Political Correctness". Dies gilt nicht nur für Deutsche, auch den Soldaten der Allierten (und nicht nur den einfachen) gelang es nicht immer, die antifaschistischen Kriegsziele über ganz traditionelle nationalistische Motive und Einstellungen die Oberhand behalten zu lassen, man denke an das Zerrbild von den Deutschen als den "Hunnen", das britische Soldaten im 1.Weltkrieg motivierte und im 2.Weltkrieg wiederauferstand. Und Soldaten im Krieg, die täglich um ihr ganz persönliches Überleben kämpfen müssen, werden allein durch dieses Schicksal bereits in eigentlich ungewollte Allianzen hineingezwungen. Auf diese Weise unterliegen sie aber auch "kognitiven Dissonanzen", Konflikten aus der Diskrepanz zwischen realem Handeln und mentaler Einstellung, in denen sich - wie die psychologische Forschung zeigt - in der Regel letztlich das Denken dem Handeln anpasst, wenigstens in gewissem Umfang. Vielleicht erklärt dies, warum im Vergleich mit Kurt Müllers Gedichten aus Russland seine späteren Briefe etwas von der inneren Distanz zum militärischen Geschehen und zur Soldatenidentität eingebüßt zu haben scheinen (auch wenn bei Texten in Gedichtsform, die sich - nicht nur - Zensoren weniger leicht erschließen, nicht dieselbe Vorsicht erforderlich gewesen sein mag wie bei Briefprosa).