Na, und was war die Folge? Anscheinend wohl muss ich ein sehr tüchtiger Berufsberater gewesen sein. Auf einmal kam von Köln, nein, von Düsseldorf vom Landesarbeitsamt, von dem Oberregierungsrat Dr.Stets, man hätte mich ausersehen als Leiter der Berufsberatung im Arbeitsamt Kempen, Niederrhein.
 
Na ja, ich kam nach Kempen hin

(1.4.1937)

, fand eine Berufsberatung vor, einer war gegangen, die bestand aus vier Leuten, zwei Berufsberaterinnen und zwei Hilfskräften, ließ sich auch sehr schön an, nur dass da, in dem kleinen Arbeitsamt, die Parteifunktionäre das Reden hatten*. Der "Inhaber", der Oberregierungsrat, der Leiter, der war schon, obwohl der nie in der Partei gewesen war und auch ein sogenanntes Maiblümchen war, wie man sagte, der also erst im Mai '33 in die Partei kam, war der schon Sturmführer, den hatte man so richtig hervorgehoben, der musste da die Sache steuern, und der drängte auf Parteimitgliedschaft, und da bin ich da dann noch in die Partei eingetreten.

SiepmannFamilieNeuMkss
Oben: Arbeitsvermittler und SA-Sturmführer Ernst Walter Sipmann als Biedermann, mit Familie, ca. 1938
 
Nach dem Krieg wandte sich Sipmann wegen eines "Entnazifizierungs"-Zeugnisses brieflich an Kurt Müller sen. (und schickte ihm dieses Foto, das noch aus der gemeinsamen Zeit im Arbetsamt Kempen stammte, sowie ein weiteres, das seine mittlerweile drei Kinder zeigt und offenbar ein paar Jahre später aufgenommen wurde; siehe links). Kurt Müller  überlegte, ob er ihm nicht den Gefallen tun sollte; der Bauernsohn Sipmann sei zwar ein Nazi gewesen, aber habe doch niemandem persönlich etwas getan. Auf den Rat seiner vorsichtigen Frau (obgleich auch sie es nicht besser wusste) verweigerte er jedoch Sipmann das Zeugnis.

 
Es war ihm - auch wenn er die nach heutigem Wissen richtige Entscheidung traf - tatsächlich nicht bekannt, eine wie prominente, fanatische und gewalttätige Rolle der SA-Mann Sipmann während der "Kristallnacht" am 9. November 1938  in Kempen gespielt hatte. In zwei Berichten der Westdeutschen Zeitung (WZ), Auszügen aus dem noch nicht veröffentlichten Buch "
Kempen unterm Hakenkreuz
" des Historikers Dr.
Hans Kaiser
, vom 31.Oktober und vom
8.November
2008 über die Progromnacht in Kempen wird sein Verhalten geschildert (ergänzend dazu siehe auch
rp-onlin
e1
) und
rp-online2
).
 
Dass Kurt Müller über Sipmanns Verhalten während der Progromnacht nichts Genaues erfuhr, ist durchaus plausibel. Die Verfolgungen jener Nacht wurden in Komplizenschaft von örtlicher Kempener Polizei und SA durchgeführt; Kurt Müller jedoch war ja kein SA-Mitglied (als Berufsberater war er lediglich der HJ zugeordnet). Außerdem war er mit der Bewältigung einer anderen, ganz persönlichen Tragödie beschäftigt: seine Frau erlitt nämlich an genau jenem Abend, also in der Pogromnacht, eine Fehlgeburt und verlor ihr erstes Kind.
* Tatsächlich befand sich  nach einem
Artikel von rp-online
(beruhend auf Forschungen des Historikers Dr. Hans Kaiser) im Kempener Arbeitsamt die Kernzelle der dortigen SA.
oben: Sipmanns anderes Gesicht:
der Arbeitsvermittler
in SA-Uniform
SipmannSAsm
Siehe dazu auch die Gerichtsreporagent 8, 13 und 30 von 1947-1948:
Strafsache ./. Landwirt Ernst SIPMANN (SA-Obersturmführer), Landwirt Friedrich HOLTERMANN (SS- Mann), Polizeimeister Ludwig OBERDIECK, Zahnarzt Dr. Otto HENNIG, Polizeiinspektor Walter RUMMLER u.A. wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit (Inbrandsetzung der Synagoge in Kempen) Bd. 1 Aktenzeichen: 6 Js 136/47 6 KLs 3/48  (Leider sind die Gerichtsakten nicht mehr auf den Seiten des Instituts  "Historisch-Kulturelle Informationsverarbeitung" der Universität Köln verfügbar).
SipmannKinder
Sipmanns Kinder ca. 1943 (Foto nach dem Krieg Kurt Müller zugeschickt, siehe Kommentar rechts)

Und dann waren wir sehr bekannt, dieser eine Vermittler aus der Vermittlungsabteilung, der auch da von der Partei reingesetzt war, der war Sturmführer, auch, der hatte mich besonders in sein Herz geschlossen, der Walter Sipmann, hieß der, und der war ständig um mich rum und machte und tat, und der hatte einen Freund, der war SS-Sturmführer, und der kam auch immer, und immer hieß es "Kurt Müller", "Kurt Müller" hier, "Kurt Müller" da. Und dann missfiel mir dieser Regierungs-Chef, und eines Tages dachte ich: "Ich bewerb mich bei Ford!"  Das weißt du ja, die Geschichte.

KempenArbeitsamtWiesenstrB_Kopie_3
KempenArbeitsamtWiesenstr_Kopie_3

Das alte Kempener Arbeitsamt in der Wiesenstraße

Aber ich kam nicht mehr in die SA, sondern den Verhältnissen entsprechend, wie das überall war, nachher auch in Mönchengladbach, die Berufsberater, die kamen alle in die Hitlerjugend. Ich war dann Jungscharführer oder sowas geworden, hatte so'n braunes Hemd mit einem grünen Gürtelchen an, wenn ich überhaupt was anhatte.

Und dann hab ich einfach so auf gut Glück nach Ford geschrieben. Und hörte nix und bekam nach 14 Tagen ein Telegramm: "Sofort vorstellen!" Und dann bin ich hin, mich vorgestellt, dann hat man mich ohne Weiteres wieder gehen lassen, hat  gesagt, ja, ich kriegte noch Bescheid darüber. Ich weiß nicht mehr, wie lang es gedauert hatte, dann kam ein Telegramm: "Bitte dann und dann innerhalb von 8 Tagen anfangen!", bei Ford.

Arbeitsamt Kempen 1937 - 1938

Kurt Müller

(sr.)

UnterschriftGruen.jpg
geboren am 8. August 1904 in Elberfeld
gestorben am 23. Dezember 1982 in Gütersloh
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Familiengeschichte
Müller - Humphreys

Gespräch aus dem Jahr 1982

 
 
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