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I
ch liebe Sie, junge Frau! Ich liebe Sie, junge Freundin! Wie liebe ich deine Jugend!"
Wir saßen zu dreien auf der Terrasse über dem Flusse, Gertrud mit ihrem Gatten (meinem Jugendfreunde) und ich. Sein Beruf führte ihn nach dem Süden, und er kam, um Abschied zu nehmen, beglückt von der Liebe seiner jungen Gefährtin. Sie war nicht hübsch, die Gattin meines Freundes, sie hatte eine zu kleine Nase und das Kinn war ein wenig stark. Auch ihre Zähne waren unregelmäßig, und die obere Reihe schien die untere zu umklammern. Aber wenn ihre liebliche Eitelkeit diese Fehler zu verdecken suchte und sie, noch lachend, die Lippen verschloß, zog ein betörendes Spiel, das meine Augen nicht freikommen ließ, um ihren Mund. Wundervoll war die dunkelblonde, matte Farbe ihres Haares. So saßen wir, tranken Wein und erzählten Geschehnisse unserer Jugend. Wir sprachen von den Bosheiten, die unsere Lehrer fast zur Verzweiflung brachten, von all den kleinen unwichtigen Dingen, die im Kinde so große Eindrücke hinterließen. Als die Glaser zusammenklirrten, rief mein Freund: "Auf unsere Jugend!" Nachdrücklich trank ich Frau Gertrud zu. Zu meinem Freunde gewandt, sprach ich leise: "Auf die Jugend deiner Gattin!" Prüfend schaute er mich an. Und als er das Glas an seine Lippen setzte, glaubte ich ein Lächeln, ein mitleidiges und glückliches Lächeln zu sehen, ein Lächeln, das eine unbegründete Wut in mir hervorrief, Zorn, Neid und Eifersucht zugleich, und es
war schwer, das Glas in meiner Hand nicht zu zerdrücken. Jetzt riß ich die ganze Unterhaltung an mich,
ich konnte nicht anders, ich mußte sprechen, zu ihr, zu mir, von meiner Jugend und von den Dingen, die in mir lagen. Ich erzählte voller Leidenschaft, treffend und plastisch. Ich karikierte Personen und Gefühle. Ich bildete sie mit meinen Händen, ich machte sie lächerlich und voller Größe und trank hastig Glas um Glas. Und als ich merkte, wie Gertrud voll innerster Spannung mir entgegenhorchte, als ich sah, wie gebannt ihre Augen an meinem Munde hingen, als ob meine Worte eine Offenbarung ihrer eigenen Jugend wären, da schälte ich mit grausamen Händen meine ersten Erlebnisse der Liebe aus dem Wust meiner Erinnerungen. Eine wilde Freude überkam mich. Meine Phantasie arbeitete tadellos. Ich erfand neue Menschen, Mädchen und Situationen, die ich den alten Erlebnissen hinzufügte. Ein Dorado von Lust und Körpern breitete ich nachträglich um meine Jugend. Oh, ich fühlte, wie sie sich zu mir neigte, wie ihr Wesen sich vor mir öffnete, wie sie trotz meiner Lügen den Ursprung meiner Worte erkannte, und wie absichtslos berührte ihr Fuß unter dem Tisch den meinen. Da spielte ich meinen letzten Trumpf. Ich erzählte sentimental und mit raffinierter Ausschmückung die Jugendepisode eines Unbekannten mit einer Blumenverkäuferin. Es war ein Erlebnis meines Freundes. Ich verstand der Geschichte eine prickelnde Romantik zu geben. Ich sprach mit Pathos von der Schönheit der ersten Liebe. Doch als ich mit verhaltener Ironie das Ende dieser Liebe zeichnen wollte, wurde ich schroff unterbrochen. Mein Freund stand auf. "Wir gehen", stieß er rauh hervor. Gertruds Gesicht verriet Verständnislosigkeit. Ich beugte mich zu ihr: "Ich kenne meinen Freund, gnädige Frau. Seine Energie ist unbeschreiblich. Wir werden leider auseinandergehen müssen. Trinken wir den letzten Schluck auf unsere erste Liebe."
In nächtlicher Straße verabschiedeten wir uns. Mein Freund reichte mir stumm die Hand. Gertruds Antlitz verzerrte ein krampfhaftes Lächeln. "Seien Sie nicht traurig, gnädige Frau", sprach ich. Sie wandte sich jäh um und ging.
*
Das sind nun viele Jahre her. Manchmal, in ruhigen und nachdenklichen Stunden, steigt Gertruds Bild in mir empor, wie sie mich ansieht, jung und fragend, mit einer rührenden Hilflosigkeit. In den letzten Wochen hatte ich kaum an sie gedacht. Und heute sah ich sie. Sie war breiter und fraulicher geworden. Wieviel Kinder mochte sie geboren haben? Ein verhärmter Zug lag in ihrem Gesichte. Als sie mich sah, ging sie voller Hochmut, mit erheuchelter Zufriedenheit und mit herablassendem Gruße an mir vorbei. Aber warum denn? Warum denn...? Ach, jetzt weiß ich es. Damals, als wir Abschied nahmen und Gertrud vergebens ihren Schmerz über unsere Trennung zu verbergen suchte, als sie mit herzzerreißendem Lächeln auf mich zutrat, damals
hätte ich alles zu ihr sprechen dürfen, alles, nur nicht: "Seien Sie nicht traurig, gnädige Frau!" Das war in jenem Augenblicke eine unverzeihliche Indiskretion. Das wird eine Frau nie verzeihen, daß man ihr Antlitz anders sieht als sie es will. Wirklich, ich gestehe, es war eine Entblößung.
*
,"Ich liebte Sie, gnädige Frau. Ich liebte dich. Wie liebte ich deine Jugend!"
Jetzt gehen wir aneinander vorbei. Mea culpa! Mea maxima culpa!
*
Ich glaube, sie ist es gar nicht gewesen, die ich gesehen habe. Sie ist es bestimmt nicht gewesen. Sie soll es einfach nicht gewesen sein. Denn dann kann ich sie wieder lieben.
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