19/1.45
Meine liebe Frau!
Auf diesem rauhen Papier läßt sich besser mit Bleistift schreiben. Selbst meine große Füllfeder, die ich über alle Wirrnisse hinweg gerettet habe, bleibt in den Fasern hängen. - Gestern kam eine Menge Post an, noch aus November und Dezember, aber von Dir war ein Brief von Sylvester-Abend dabei, über den ich mich so herzlich gefreut habe. Ja, Du Liebe, wir wollen unser Herz immer so festhalten wie bisher, auch wenn es oft schwer ist. Bis jetzt haben wir gegenüber anderem Leid noch den kleineren Teil zu tragen, und was uns noch auferlegt werden sollte, bedarf vielleicht unserer ganzen u. letzten Kraft. Wir wollen den lieben Gott bitten um diese Kraft, wenn es bei ihm beschlossen sein sollte zu diesen Prüfungen. Mein Liebstes, ich schrieb Dir schon, daß ich damals nach Belgrad meine Rückkehr als ein Zeichen neuen geschenkten Lebens empfand. Ich wußte, daß mit dem Tod unseres Kindchens noch nicht das Leben beendet ist. Als die Lage im Oktober bei uns so verzweifelt war und ich trotz allen Glaubens manchmal an meiner Wiederkehr zu zweifeln begann, da habe ich mich wohl mal bitter gefragt, warum unser Kindchen nicht das Leben behalten durfte. Aber mein tiefster Glaube, daß ich diesen Krieg, wenn ich einmal in seinen Brennpunkten stehen würde, überwinden und überleben würde, fand in meiner glücklichen Rückkehr aus dem Brückenkopf seine Bestätigung und wie ich glaube, auch für immer. Ja, Liebste, unsere Hoffnung ist uns so geblieben und alles andere wollen wir beide schon schaffen, wenn wir wieder beisammen sein dürfen. Ach, wieviel reicher im Herzen und wieviel bescheidener werden wir in unseren Wünschen sein. Selbst wenn Beruf und Müssen uns zwingen würden inmitten der Zerstörung zu hausen. Am schönsten wäre es aber, einen Brunn vor dem Hause zu haben und eine Bank, auf der Du sitzst und mich erwartest, wenn ich gegen Dunkelwerden nach Hause komme.
Es ist noch bitter kalt bei uns. Ein eisiger Nord-Ost fegt über die ungarische Ebene. Eben überflogen uns russische und englische Jäger. Sie flogen eilig heimwärts. Ich glaube, es war ihnen auch zu kalt. In den nächsten Tagen werden wir wieder umziehen, etwa 5 km südlich der Stadt. Das wird dann hoffentlich fürs erste mal eine endgültige Unterkunft werden. Mit der Aussicht, in einem ungarischen Bauernhaus einquartiert zu werden, hoffe ich auch die nötige Wärme in diesen harten Wintertagen zu empfangen. Dein Weihnachtspäckchen ist noch nicht angekommen. Aber wenn jetzt erst Post aus November kommt, dann kommt das Weihnachtspäckchen auch noch an. Und mein Päckchen aus Solingen-Wald wird sicher auch noch einmal befördert werden. Inzwischen mache ich noch ein Bücherpäckchen mit 4 Büchern fertig, das sicher mal ein Urlauber von hier nach dem Reich mitnehmen wird. Die sonstigen kleinen Sachen (Hölderlin, Faust, Gedichte usw.) werde ich als seelische Speise hierhalten.
Was machen die Eltern? Sie sind ja beide so veranlagt sich überall eine nutzbringende Beschäftigung zu suchen. Das ist gut so. Meine Mutter schreibt augenblicklich mal wieder sehr nervös. Fritzi ist wieder in Graudenz. Nach dem Durchstoß der Russen wird ihres Bleibens da auch nicht lange sein. Sie wird jetzt auch mehr vom Krieg verspüren als bisher. So kommt jeder an die Reihe. Noch nie hat eine Zeit die Menschen so gleich gemacht, im Unglück u. Leid und im täglichen Leben. Wenn wir nur alle auch die Lehre für künftige Zeiten beherzigen. Mach es weiterhin gut, Du liebe Frau. Gott schütze Dein liebes gutes Herz und gebe Dir Kraft, Mut und Hoffnung. Solange ich Dich habe, geht es mir gut.
Laß Dich herzlich küssen von Deinem Mann.
Grüße die Eltern u. alle Isselhorster von mir.