26/8.44
 
Meine liebe gute Frau.
 
Ich weiß nicht, ob dieser Brief zum rechten Tag ankommen wird. Wahrscheinlich wird er etwas früher eintreffen. Aber das ist besser als wenn er zu spät käme und Du an unserem Hochzeitstag keinen Gruß von mir in Händen hättest. O ja, Liebste, nun sind wir 7 Jahre verheiratet und haben in diesen sieben Jahren so ziemlich alles, Freude, Glück, Trauer, Leid, an schönen und bitteren u. einsamen Stunden erlebt, was ein Menschenleben schon enthalten kann. Es ist nicht alles gleich auf uns verteilt gewesen. Du hast vieles stärker und klarer empfunden und gelitten als ich, und die Jahre des Krieges und des Soldatseins sind bei allem doch die schwersten gewesen. Aber sie haben uns auch so zusammengeführt, wie es nie vorher zu erwarten war. Und aus diesem Verzicht, aus Demut und tiefster Sorge ist unser Glück gekommen. Liebste, ich möchte kein Jota meiner Sorge um Dich vermissen, weil es zu meiner Liebe und zu meinem Glück gehört und weil es geradezu zu einem Maßstab meines Lebens geworden ist. Was sollte ich auch jetzt anderes denken, fühlen und tun? Ich weiß, Du Gute, daß wir, und besonders Du, in unserer Ehe bisher nicht das an äußeren und inneren Freuden gehabt haben, wie wir es uns vor 7 Jahren vorgestellt haben. Aber ich glaube auch, daß wir diese Erkenntnis mit jeder Ehe teilen, selbst wenn andere reicher an äußeren schönen Erlebnissen und Eindrücken sind. An wirklichem Glück, wenn es auch von schmerzlichem Verzicht umrahmt ist, kann sich keine Ehe mit der unsrigen heute mehr messen. Der liebe Gott legt uns viele Prüfungen auf. Und der Tod unseres Kindchens ist vielleicht nicht die letzte. Wir können nicht wissen, wie er uns wiegt. Aber wir wissen, daß wir auch vor ihm bestehen müssen. Und dazu hat er uns unsere Liebe und unser Glück geschenkt. Es ist das, was wir vor vielen anderen voraus haben und damit wollen wir es wohl schaffen, Liebste. Ich bin Dir so in Liebe und Treue verbunden und kann gar nichts anderes, als alles zu teilen und zu tragen mit Dir. Mein gesprochenes oder ungesprochenes Gebet ist nur Bitte um Segen für Dich, um sicheres Geborgensein und um Stärkung Deines Herzens. Auch ich wünsche mir noch manches, doch findet sich das alles in dem Wunsch, bald wieder bei Dir sein zu dürfen und selbst um Dich besorgt und schützend meine Kraft einsetzen zu können.
 
Wie sehr ich Dir für all Deine Liebe und Treue danke, kann ich gar nicht sagen. Du hast mir soviel gegeben, soviel Kraft und Bereitschaft, wie Du es garnicht wissen kannst. Mein Dank, Liebste, kommt aber nicht aus der Pflicht, sondern aus innerer Notwendigkeit, aus dem Müssen, weil es garnicht anders sein kann. Und dieser Dank, Du liebe Frau, ist mein Gruß zu unserem siebenjährigen Hochzeitstag.
 
Wie es Dir wohl geht? Warst du auch inzwischen nochmal beim Arzt? Das darfst Du nicht verpassen. Gestern hörte ich sowas im Radio, daß die weiblichen Berufsschulen geschlossen würden, mit Ausnahmen der Haushaltsschulen. Ich habe s im Vorbeigehen gehört, und in späteren Nachrichten wurde es nicht mehr wiederholt. Und ich weiß nun nicht genau, ob ich richtig gehört habe. Du wirst sicher schon inzwischen wieder darüber geschrieben haben. Welche Arbeit Du nun tun wirst, ist ja in dieser Lage gleichgültig. Du darfst nur nicht zu schwere Arbeit erhalten. Und deshalb ist Dein nochmaliger Besuch beim Arzt nötig. Von Deiner Mutter kamen gleich 4 Schachteln Zigaretten an, die ja auch noch von Dir sind. Von Lene Mantz kam ein Brief nach längerer Zeit. Ihr Gesundheitszustand war so schlecht wieder, daß sie nicht schreiben konnte. Mit ihrem schwachen Herzen ist sie in diesen Zeiten besonders zu bedauern. Es sind Tage, die viel von uns fordern, von uns allen. Wenn wir sie nur zuletzt doch meistern können. Darauf kommt es an.
 
Es ist noch immer sonnig und warm. Gleich will ich mich mal gründlich waschen und frische Wäsche anziehen. Vergangene Woche war jede Stunde Alarm, ohne daß etwas zu beobachten war. Sie fliegen immer an uns vorbei. Heute morgen flogen sie wieder in Massen nach Rumänien ein. Auch Bulgarien wird schwer bedrängt. Ungarn scheint z.Zt. noch stabil zu sein. Wir sind noch an gleicher Stelle, wenn auch die Möglichkeit des Wechsels nach wie vor besteht. Vielleicht bin ich eines Tages mal wieder näher bei Dir. Die Urlaubssperre ist hier aufgegeben bzw. stark verringert. Danach könnte ich im Oktober /November wieder mit Urlaub rechnen. Aber dann werden soviele dasein, daß ich vielleicht noch länger warten muß. Wenn ich nur bald für immer bei Dir sein kann, dann ist es nicht schlimm, wenn auch das Jahr 1945 darüber erscheint.
 
Und nun leb wohl, Du liebste beste Frau, bleibe behütet wie bisher, ich denke an Dich lieb und innig und küsse Dich herzlich
Dein Mann

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Kurt Müller sen.

geboren am 8. August 1904 in Elberfeld
gestorben am 23. Dezember 1982 in Gütersloh
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Briefe aus dem Krieg 1944/45

 
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