Heute hat es die Post aber mal gut mit mir gemeint. 2 Briefe gleich von dir, vom 1.2. und einer sogar vom 12.2. Ja, so bescheiden ist man geworden, daß 12 Tage keine Zeit mehr bedeuten. Aber wenn man sonst noch länger zu warten gewohnt ist, ist es schon ein richtiger Grund zur Freude. Nun wird Gütersloh auch arg angeschlagen sein, wenn es solche Angriffe über sich ergehen lassen muß. Mit ihren kleinen Häuschen hat sie doch gar keinen Widerstand. August Jacke war doch in der Bäckerei seines Bruders beschäftigt? Was macht er nun? Hat der Betrieb von Fritz Landwehr nichts abbekommen? Und Du hast Dich ganz klein gemacht! Meine gute Mami, wie gerne wäre ich bei Dir und hielte Deine Hand in solchen Augenblicken. Ich weiß wieviel Not in solchen Minuten ist, Du hast es nun so oft mitgemacht. Immer kann es nun so nicht weitergehen. Einmal muß doch damit aufgeräumt werden können. Es wäre schön wenn Dein Vater Baumaterial für ein Behelfsheim erwerben könnte. Aber wie bekommt er das nach Isselhorst? Und will er selbst bauen? Man lernt gar viel in dieser Zeit. Von Elberfeld habe ich noch keine weitere Nachricht. Hoffentlich sind die Süchtelner
[= Kurts Schwester Fritzi und eventuell ihr Mann Fritz, die in Süchteln am Niederrhein wohnten. Fritzi hatte sich, wohl in ihrem alten Beruf als Krankenschwester tätig, in Graudenz/Weichsel (Westpreußen) aufgehalten, das aber wohl noch nicht von der Roten Armee eingenommen worden war. Fritz, der zunächst als Psychiater in der Klinik Süchteln gearbeitet hatte, war, nachdem er sich aus seiner katholisch-christlichen Glaubensbindung heraus geweigert hatte, am "Euthanasie"Programm teilzunehmen, an die Ostfront eingezogen worden. Es kann sein, dass er sich vorübergehend ebenfalls in Graudenz aufgehalten hatte. Als Fritzi - dann jedenfalls wieder ohne ihren Mann - Ende April 1945 mit dem Zug nach Westen unterwegs war, musste sie bei einem Luftangriff auf den Zug auf den Gleisen unter dem Zug Schutz suchen und infizierte sich wahrscheinlich dabei mit Tetanus. Sie starb an dieser Infektion wenige Tage nach Kriegsende, am 19.Mai 1945]
nicht so leichtsinnig gewesen, daß sie den Vormarsch der Russen nicht [anschlugen??] und nachher nicht mehr herauskonnten. In Deinem Brief vom 12. schreibst Du auch nichts davon. Du wirst also zu der Zeit auch noch nichts von Elberfeld gehört haben.
Hoffentlich werden die Barrikaden und Panzersperren, die jetzt bei Isselhorst angelegt werden, nicht gebraucht. Ich kann mir nicht vorstellen und halte es auch für ausgeschlossen, daß dann noch Krieg geführt werden kann. Über die Adresse von Eisenach bin ich froh. Ich hatte schon öfters an eine Ausweichadresse gedacht. Ich habe sie sofort in mein Notizbuch geschrieben. Es gibt noch in Berlin die Zentralauskunftsstelle für Rückgeführte, Polizeipräsidium Berlin, Alexanderplatz. Diese Adresse schreibe Dir auch mal auf. Vielleicht kann sie doch mal nützen.
Ich habe jetzt, nachdem es bei der Marketenderware mal Spielkarten gegeben hat, den Kameraden auf der Schreibstube das &dbquo;Patience-Spiel beigebracht. Und nun sind sie mit Leidenschaft dahinter und erinnern mich oft an den Anfang Deiner Spielleidenschaft, als Du oft &dbquo;mal eben ein Spiel machen mußtest. So helfen wir uns gegenseitig über unsere Sorgen hinweg.
Ich wünsche mir bald ein Wiedersehen. Bleibe behütet immerzu und viel liebe Wünsche u. Küsse
Dein Papi
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Kurt Müller sen.
geboren am 8. August 1904 in Elberfeld gestorben am 23. Dezember 1982 in Gütersloh