Ich glaube, ich habe Dir in den letzten Tagen wenig ermunternde Briefe geschrieben. Es lag eben so etwas in der Luft oder im eigenen körperlichen oder geistigen Zustand. Ich war jedesmal ein wenig unzufrieden mit mir selbst, wenn ich den Brief verschlossen hatte, schickte ihn aber doch ab, weil ich weiß, daß du das Notwendige schon herauslesen wirst und außerdem ist es zu höchst ungewiß, ob diese Briefe überhaupt ankommen. Wenn die Frau eines Kameraden, der bestimmt ein übern anderen Tag einen Brief absendet, schreibt, daß im Monat Januar nur ein Brief von ihm angekommen wäre, so kann ich mir vorstellen, wie auch Du auf Post warten mußt. Morgen fährt nun ein Heimaturlauber nach Frankfurt a.Main. Mit ihm sollen diese Zeilen einen Teil einen Teil des langen Weges zurücklegen. Gestern u. heute sind wieder viele Städte in Ober- und Niederdonau abgegriffen worden, was auch wieder eine erhebliche Postverzögerung bedeuten wird. Der Wehrmachtsbericht von vorgestern, den ich erst gestern erfuhr, brachte den Terrorangriff auf Gütersloh. Am Tage vor dem war Wuppertal das Ziel. Gedanken genug für einen Menschen, der nicht helfen kann.
Hoffentlich ist Dein Vater an dem Tag nicht gerade in Gütersloh gewesen, um Material für das Behelfsheim zu holen. Oder war der Angriff in der Nacht? Ich muß Geduld haben und hoffen, daß Gott Dich in seinen Schutz genommen hat, wie er es bisher tat. Schreibe mir einmal, wie oft du mir schreibst. Du weißt, daß ich nicht böse bin, wenn Müdigkeit und verdrießliche Umstände Dich am Schreiben hindern. Ich möchte nur mal wissen, wieviele Briefe überhaupt ankommen. Dein letztdatierter Brief ist vom 12.2., der Anfang März ankam. Seitdem weiß ich nichts mehr von dir. Von hier aus wird augenblicklich viel unternommen, um wenigstens die Beförderungszeit von Wien bis hierhin abzukürzen. Wenn die Strecken zerstört sind, ist allerdings wenig zu wollen. Schrieb ich Dir schon, daß der Arzt an meinem linken Ohr einen Tubenkatarrh festgestellt hat? Er hat versucht, auf dem Nasenwege die Sache wegzublasen, aber es hat nicht geklappt. Nun doktere ich nach seiner Anweisung selbst herum, wenn es aber nicht besser wird, wird er mich zum Spezialisten schicken. Es ist eben eine Folge meiner langen Erkältung, mit der ich mich jetzt schon seit Agram herumschlage. Aber ich denke, daß jetzt in den wärmeren Tagen diese Sache bald behoben ist. Heute mittag haben wir draußen in der Sonne gesessen und heute morgen sah ich schon einen Frosch über das Feld hüpfen. Da wußte ich, daß der Frühling bald da ist.
Von der Lage ist jetzt nicht viel zu schreiben. Der Krieg geht weiter bis zur letzten Entscheidung. Die jetzigen Ereignisse sind alles nur vorletzte Entscheidungen. Ich wünsche mir die eine Gnade und das eine Glück, daß ich Dich wiedersehe. Bis jetzt sind wir beide noch einige Kilometer von den wirklichen Fronten entfernt. Auch dann, wenn die Verbindungen einmal zwischen uns unterbrochen sein sollten, wollen wir aneinander glauben und festhalten. Ich gehöre zu Dir, Liebste. Was auch eintreten mag, daran wird mich nichts mehr irre machen. Ich glaube kaum, daß ich schreiben und versichern brauche, wie lieb ich Dich habe. Es ist heute so, daß hinter allen Gedanken und Handlungen Dein Bild und Deine Treue stehen und mir den Weg weisen.
Morgen haben wir Wehrmachtsgottesdienst. Ich freue mich auf diese Stunde der Besinnung, gleichgültig ob der Gehalt meinen Erwartungen entspricht. Ich werde viel an Dich denken. Einmal wird auch wieder eine Stunde kommen, da wir durch Felder und Wald gehen dürfen, der noch unberührt vom Kriege geblieben ist.
Wie geht es den Eltern? Und Louise? Sicher wird in Deinen nächsten Briefen etwas davon stehen. Ob ich wohl bald ein Bildchen von Dir bekomme? Das, was Frau Frau Petsch von Dir machte, ist wohl gar nicht mehr infolge der Zeitumstände entwickelt worden. Ich bin sonst in gutem Zustande, Liebste. Die Verhältnisse liegen noch ziemlich gut hier. Unsere Verpflegung ist infolge der veränderten Verhältnisse natürlich auch mächtig gekürzt worden. Aber solange wir noch hier sind, können wir uns manche Erleichterung selbst beschaffen. Es tut mir oft leid, daß keine Möglichkeit des Schickens mehr besteht. Vor allem ist unser Brot hier noch sehr gut, weil die Ungarn noch viel Weizen verarbeiten.
Nun wünsche ich mir, daß Du diesen Brief bald bekommst. Und Dich freust. Und Du Mut behältst. Und Gott Dich segnet und schützt und uns einmal wieder zusammenführt. Ich küsse Dich tausend Mal.
Dein Papi..
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Kurt Müller sen.
geboren am 8. August 1904 in Elberfeld gestorben am 23. Dezember 1982 in Gütersloh